Unsere Forderungen an die Politik
Wer sich dauerhaft einsam fühlt, hat oft mit psychischen und körperlichen Erkrankungen zu kämpfen. Die Folge: Betroffene ziehen sich immer mehr zurück, nehmen nicht mehr am sozialen Leben teil und sind in ihrer Situation immer mehr gefangen. Die Gründe für Einsamkeit sind dabei vielfältig: Pflegebedürftigkeit, finanzielle Schwierigkeiten, familiäre Überlastung oder auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Deshalb gilt es, Einsamkeit rechtzeitig zu bekämpfen und die Ursachen zu beseitigen – und das so schnell wie möglich.
Diese wichtigen Aufgaben muss die Politik jetzt angehen!
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Pflege
Frau B. ist 72 Jahre alt und hat bereits jahrelang ihre Eltern gepflegt, jetzt kümmert sie sich um ihren pflegebedürftigen Ehemann. Durch die Pflege hat das Paar nur noch wenige finanzielle Reserven. Frau B. hat kaum noch Zeit für sich und ihre Freund*innen. Sie ist erschöpft und weiß oft nicht weiter.
80 Prozent der über 4,5 Millionen Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – über 60 Prozent davon allein durch Angehörige und ohne professionelle Pflege. Pflegende Angehörige sind damit ein wesentlicher Stützpfeiler unseres Pflegesystems. Gerade Pflegende und Pflegebedürftige machen durch ihre veränderte Lebenssituation individuelle Erfahrungen mit Vereinsamung: Sie kommen nur noch selten raus und oft reduziert sich ihr Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Pflegen macht einsam, denn Betroffene sind aufgrund der Pflege- und Betreuungsaufgaben zeitlich und körperlich sehr häufig überfordert.
Darum fordern wir:
- Der Pflegeentlastungsbetrag muss niedrigschwelliger und flächendeckender nutzbar sein
- Es muss Entlastungs- und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige geben
- Gute und solidarische Pflege muss endlich verwirklicht werden (z.B. durch Einführung einer Bürgerversicherung und durch eine bessere Bezahlung von Pflegekräften)
- Aufsuchende und aktivierende Angebote müssen ausgeweitet werden
- Pflegeleistungen für den häuslichen Bereich müssen erhöht werden (das schließt auch den Entlastungsbetrag mit ein)
- Reha vor und bei Pflege muss gestärkt werden
2
Inklusion
Der achtjährige Schüler Tom S. hat ADHS und Autismus. Er besucht die dritte Klasse einer Regelschule, benötigt aber wegen seiner Erkrankungen eine*n Schulbegleiter*in. Zu Beginn des neuen Schuljahres finden seine Eltern trotz wochenlanger Suche aber keine neue qualifizierte Schulbegleitung. Deshalb kann Tom kann nicht zur Schule gehen. Er und seine Familie leiden sehr unter dieser Situation und sehen keinen Ausweg mehr.
Viele Kinder mit einer Behinderung sind einsam. Sie kommen auf Spielplätzen nicht gut zurecht, weil diese nicht angepasst sind und soziale Aktivitäten in der Nachbarschaft gestalten sich sehr schwierig. Kinder mit einer Behinderung bekommen oft spezialisierte Pflege und besuchen spezielle Sportvereine. Dadurch haben sie aber auch weniger Kontakte zu ihren Altersgenoss*innen ohne Behinderung. Häufig können sie auch nicht in ihrer Nachbarschaft zur Schule gehen, weil etwa Schulbegleiter*innen fehlen oder sie Förderschulen besuchen. Fehlende Inklusion ist hauptverantwortlich für die Vereinsamung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung.
DARUM FORDERN WIR:
- Inklusive Bildung in der Schule muss endlich umgesetzt werden
- Langfristig ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Umsetzung der inklusiven Schule müssen bereitgestellt werden
- Schulische Assistenz muss gestärkt, finanziell besser aufgestellt und verbindlich geregelt werden
- Exklusion von Kindern mit Behinderung muss verhindert werden
3
Alleinerziehende / Familien
Frau M. hat zwei Kinder im Alter von 12 und 14 Jahren. Sie arbeitet Vollzeit als Verwaltungsangestellte und ist alleinerziehend. Sie ist für die Sorge- und Erwerbstätigkeit alleine verantwortlich. Die Corona-Pandemie mit Homeschooling, teilweise Homeoffice und den veränderten digitalen Arbeitsbedingungen hat sie enorm belastet und einsam gemacht. Sie fühlt sich dem Ganzen nicht mehr gewachsen.
Alleinerziehende sind aufgrund der alleinigen Verantwortung für Sorge- und Erwerbsarbeit grundsätzlich enorm belastet. Während des Lockdowns und in Zeiten der Quarantäne gilt es, neben der Arbeit auch das Homeschooling der Kinder sicherzustellen, ausfallende Mittagsessen (auch finanziell) auszugleichen und den Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht zu werden. Zeit für soziale Kontakte bleibt dabei kaum.
DARUM FORDERN WIR:
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss spürbarer verbessert werden
- Es braucht eine verlässliche und barrierefreie Betreuungsinfrastruktur
- Flexible Arbeitszeitmodelle und stärkere Anerkennung von Sorgearbeit sind dringend notwendig
- Wirksame Unterstützungsangebote insbesondere für Alleinerziehende, z.B. durch Zuschüsse für haushaltsnahe Dienstleistungen, müssen eingeführt werden
4
Krankheit
Herr K. ist Altenpfleger und hat sich während seines Jobs im Pflegeheim zweimal mit Corona infiziert. Einmal 2020 und ein zweites Mal im Januar 2021. Seit seiner zweiten Infektion leidet er an einem Post-Covid-Syndrom. Aufgrund seiner schwerwiegenden Einschränkungen ist er monatelang erkrankt und wird wahrscheinlich nie wieder in Vollzeit tätig sein können. Er ist von dieser Situation überfordert und hat große Existenzangst.
Schwere Erkrankungen verstärken das Gefühl, einsam und verlassen zu sein. Menschen mit langanhaltenden gesundheitlichen Problemen oder chronischen Erkrankungen erhalten häufig von ihrem sozialen Umfeld weniger Unterstützung als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Anhaltende oder zunehmende Existenzsorgen sowie berufliche und soziale Instabilität können zu Ängsten und Depressionen führen. Das wiederrum kann verstärkt zu einem sozialen Rückzug führen. Ein Teufelskreis entsteht.
DARUM FORDERN WIR:
- Prävention und Rehabilitation müssen gestärkt und ausgebaut werden – auch in Bezug auf Long Covid
- Bedarfsgerechte und wohnortnahe Gesundheitsversorgung muss sichergestellt werden
- Dem Ärzte*Ärztinnenmangel (insbesondere im ländlichen Raum) muss entgegengewirkt werden
- Regionale Gesundheitszentren müssen vorangebracht und sektorenübergreifende Versorgung weiterentwickelt werden
- Es braucht eine bessere Absicherung im Krankheitsfall (z.B. durch eine längere Bezugsdauer des Krankengeldes)
- Erwerbsminderungsrentner*innen müssen ab sofort besser und durch höhere Zuschläge als geplant abgesichert werden
5
Armut
Herr M. arbeitet in der Gastronomie – zeitweise in Kurzarbeit. Seine Frau kann wegen seines Schichtdienstes nur Teilzeit als Friseurin tätig sein. Sie haben drei Kinder und beziehen wegen ihrer niedrigen Gehälter aufstockend Arbeitslosengeld II. Seit der Corona-Pandemie und wegen der aktuell hohen Inflation sowie der gestiegenen Energiepreise ist das Geld viel zu knapp. Die Familie hat sich komplett zurückgezogen, eine gesellschaftliche Teilhabe ist wegen der fehlenden finanziellen Mittel nicht mehr möglich. Die Kinder leiden sehr darunter und schämen sich. Die Familie weiß nicht mehr weiter.
Der SoVD wird sich nicht damit abfinden, dass das Armutsrisiko und insbesondere Kinder- und Altersarmut in Deutschland beständig zunehmen, dass Millionen Menschen im Niedriglohnsektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten und sich die Zahl langzeitarbeitsloser Menschen ohne Chancen auf reguläre Beschäftigung verfestigt. Das Leben in Armut geht häufig mit einer schlechten Wohnsituation einher, die wiederum eine geringere Ausstattung mit Freizeit oder Kulturangeboten in der näheren Umgebung aufweist. Außerdem fehlt es an Geld, um mal ins Kino oder Schwimmbad zu gehen und einem Sportverein beizutreten. In Deutschland arm zu sein, bedeutet, weitgehend von sozialer Teilhabe ausgeschlossen zu sein. Wenn man Armut bekämpft, bekämpft man damit auch Einsamkeit und eine weitere Spaltung der Gesellschaft.
DARUM FORDERN WIR:
- Die finanzielle Unterstützung muss so aufgestellt sein, dass die Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben möglich ist.
- Armut muss sofort bekämpft und der Niedriglohnsektor begrenzt werden
- Leistungsempfänger*innen von Grundsicherung müssen in der aktuellen Krise angesichts der hohen Inflation einen Zuschlag erhalten. Wir fordern Regelsätze, die zum Leben reichen. Aktuell wären das etwa 650 Euro im Monat.
6
Mobilitäts- einschränkung
Frau P. ist Witwe und lebt seit 40 Jahren in einem kleinen Dorf auf dem Land. Viele ihrer Freund*innen und Bekannten sind weggezogen, die dörfliche Struktur hat sich verändert. Seit einer Augen-OP kann sie kein Auto mehr fahren, der öffentliche Nahverkehr besteht aus einem Bus, der zweimal täglich fährt. Dadurch hat sie den Anschluss an ihren Freundeskreis verloren und fühlt sich sehr einsam.
Mobilität ist eine grundlegende Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Daher müssen entferntere Gegenden auf dem Land besser durch Bus und Bahn erschlossen werden. Nur so werden Menschen, die sich kein Auto leisten können, nicht vom gesellschaftlichen und kulturellen Leben ausgeschlossen. Denn: Fehlende Teilhabe macht einsam und krank.
DARUM FORDERN WIR:
- Der öffentliche Nahverkehr muss flächendeckend barrierefrei ausgebaut und das Personal aufgestockt werden.
- Die Bezahlbarkeit für alle muss sichergestellt werden.
- Nachhaltige Mobilitätskonzepte für unterschiedliche Bedürfnisse (v.a. im ländlichen Raum) müssen entwickelt werden
- Die Daseinsvorsorge muss gestärkt werden
- Stillgelegte Bahnstrecken müssen reaktiviert und ein verlässliches Landesbusliniennetz muss etabliert werden
7
Geflüchtete
Frau L. ist mit ihren beiden Kindern und ihrer Mutter vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Neben der Sorge um ihren Mann, der im Kriegsgebiet geblieben ist, muss sie den Alltag in den Griff bekommen. Ihre Kinder sollen in die Schule und den Kindergarten gehen. Ihre Mutter benötigt ständige ärztliche Unterstützung. Sie möchte wieder eine berufliche Tätigkeit aufnehmen. Leider kennt sie sich in Deutschland kaum aus und fühlt sich an vielen Stellen überfordert.
Geflüchtete haben häufig auch wegen der Sprachbarriere Probleme, mit anderen in Kontakt zu kommen. Zudem haben sie während des Kriegs und auf der Flucht schreckliche Dinge erlebt. Auch die Ankunft in Deutschland ist oft mit Hürden und Unsicherheiten verbunden. Sie leiden unter sozialer Isolation, Einsamkeit und auch Retraumatisierungen.
DARUM FORDERN WIR:
- Schnelle und unbürokratische Hilfe für alle Geflüchteten – unabhängig vom Herkunfts- oder Erstaufnahmeland – muss auf den Weg gebracht werden
- Eine Integration in Bildung und Arbeit muss ermöglicht und gefördert werden
8
Kinder und Jugendliche
Lena ist 16 Jahre alt. Die Corona Pandemie mit Homeschooling hat dazu geführt, dass ihre Noten schlechter geworden sind. Soziale Kontakte über Sport- und Freizeitangebote haben kaum noch stattgefunden. Sie hat sich völlig zurückgezogen und Angst, die Schule nicht zu schaffen. Sie fühlt sich ständig erschöpft und müde. Ihr Hausarzt hat eine ambulante Psychotherapie empfohlen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen ganz besonders von Einsamkeit betroffen. Für sie war es eine enorme Herausforderung, den Alltag neu zu strukturieren, mit Klassenkamerad*innen und Freund*innen ausschließlich digital Kontakt zu halten und zunehmend sozial isoliert zu sein. Denn: Kinder brauchen Kinder – nicht nur digital, sondern in direktem Kontakt. Die Nachwirkungen der Lockdowns und des veränderten Alltags begleiten Betroffene noch immer und sorgen für zahlreiche Probleme.
DARUM FORDERN WIR:
- Die Bedürfnisse und Interessen junger Menschen müssen stärker berücksichtigt und gefördert werden
- Psychosozialen Folgen der Pandemie muss entgegengewirkt werden
- Schulen müssen durch nachhaltige Investitionen krisenfest gemacht werden, damit Kinder und Jugendliche zu keiner Zeit auf ihr Recht auf Bildung verzichten müssen
- Die Jugendhilfe als kommunale Aufgabe muss durch den Ausbau personeller und finanzieller Ressourcen gestärkt werden
- Es muss eine verlässliche soziale Infrastruktur – etwa von Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten – aufgebaut werden
- Das Wahlalter muss auf 16 Jahre abgesenkt werden, um Jugendlichen frühzeitig die politische Beteiligung zu ermöglichen
9
Senior*innen
Frau M. ist 87 Jahre alt und Rentnerin. Vor zwei Jahren starb ihr Mann. Sie erhält nur eine kleine Rente und kann sich vieles nicht leisten. Ihre Kinder und Enkelkinder wohnen weit entfernt und besuchen sie höchstens einmal im Jahr. Sie hat niemanden, mit dem sie über ihre Situation sprechen kann. Sie wohnt allein und fühlt sich sehr oft einsam.
Einsamkeit im Alter entwickelt sich. Meist sind es körperliche Einschränkungen, die dafür sorgen, dass Senior*innen nicht mehr am Sozialleben teilnehmen. Bei Älteren über 75 Jahren besteht ein deutlich höheres Risiko, Einsamkeit oder soziale Isolation zu erleben, wenn dann noch andere Probleme wie etwa Pflegebedürftigkeit, Altersarmut oder der Verlust eines geliebten Menschen dazukommen.
DARUM FORDERN WIR:
- Die Altenhilfe als kommunale Aufgabe muss durch den Ausbau personeller und finanzieller Ressourcen gestärkt werden
- Die Verordnung sozialen Angeboten als „Geselligkeit auf Rezept“ durch Hausärzt*innen, um wieder Kontakte zu knüpfen
- Die Lebensqualität muss z.B. durch generationenübergreifende Wohn- und Stadtentwicklungskonzepte gestärkt werden
- Die Digitalisierung muss vorangetrieben werden und gleichzeitig auch analoge Angebote erhalten bleiben, damit keiner abgehängt wird.
- Der Internetzugang muss in Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen etc. sichergestellt werden
- Das Rentenniveau muss angehoben und Altersarmut verhindert werden